John Hattie, Bildungsforscher aus Neuseeland hatte 2008 ein Buch herausgebracht, das die pädagogische Welt  elektrisierte. In seinem Werk Visible Learning ( sichtbare Lernprozesse)  beantwortet er die Frage: Was ist guter Unterricht?

ZEIT ONLINE veröffentlichte darüber  einen ausführlichen Artikel, der auf Twitter für regen Austausch unter den Pädagogen sorgte, Grund genug, um über die Kernthesen und meinen eigenen Unterricht in der Erwachsenenbildung zu reflektieren.

 Pädagogik der permanenten Selbstreflexion

Was Schüler lernen, bestimmt der einzelne Pädagoge. Zu diesem Schluß kam Hattie nach jahrelanger Auswertung von meßbaren Megadaten. Ein guter Lehrer steuert den Unterricht von der ersten bis zur letzten Minute. „Ein guter Lehrer sieht den eigenen Unterricht mit den Augen seiner Schüler“, in seinem zweiten Buch, Visible Learning for Teachersdas 2011 erschienen ist, skizziert John Hattie eine Pädagogik der permanenten Selbstreflexion, worauf  immerhin in der Ausbildung zum DaF-Lehrer großer Wert gelegt wird. Trotz jahrzehntelanger Berufserfahrung reflektiere ich immer noch über jeden erteilten Unterricht. Die Selbstreflektion kommt für mich an zweiter Stelle nach der Unterrichtsvorbereitung, wobei mir die Evaluationphase gegen Ende des Präsenzunterrichts hilft.

Ideallehrer, der systematisch seine Selbstzweifel pflegt

Der Ideallehrer ist einer, der systematisch seine Selbstzweifel pflegt. Er fragt nicht nur regelmäßig den Lernstand jedes einzelnen Schülers ab, vorzugsweise mit kleinen Tests, die oft nur zwei, drei Minuten dauern müssen. Gleichzeitig lässt er die Schüler auch systematisch über den Unterricht urteilen. Die Forschungsgruppe um Pof. Andreas Helmke stellte fest, dass Schüler mit der richtigen Unterrichtsdiagnostik  überraschend präzise  nicht nur den Unterricht beurteilen, sondern auch systhematische Selbsteinschätzung vornehmen. Im Erwachsenenunterricht setze ich gerne dazu Web 2.0 Tools ein. Ich bin immer wieder von Neuem überrascht, wie sehr die mündlich geäußerte von der  digital meßbaren Einschätzung differenziert. Die digitale Diagnostik ermöglicht es mir, meinen Unterricht zu korrigieren und das Lernen effizienter zu gestalten. Bei der verbalen weiss ich von vorneherein, dass ich es nicht allen recht machen kann.

Lernziele und Klassenführung

Mit Teacher Clarity ist gemeint, dass Schüler  verstehen, was der Lehrer von ihnen will. Damit sind in der DaF-Ausbildung die Lernziele gemeint. Neuerdings stehen sie in den Lehrwerken obendrein am Kapitelanfang. In Lernplattformen sollen sie für die Kursteilnehmer verdeckt festgehalten werden. Erwachsene reagieren im Unterricht jedoch eher als Kunden und nicht als Lernende. Sie fragen, wozu sie das Gelernte brauchen, wenn sie es nicht einordnen können. Außerdem  wollen sie sich komplizierter ausdrücken, weshalb  die Lernerwartungen mit den Lernzielen manchmal kollidieren. Als  Andragoge ist es darum um so wichtiger, schnell ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, damit die Kursteilnehmer wissen, wohin sie geführt werden. (classroom management)

Lernbegleiter und Regisseur

Laut Hattie darf ein Lehrer kein bloßer Lernbegleiter  (faciliator), kein Architekt von Lernumgebungen sein. Die Studienwerte zum Lerneffekt beim  Computereinsatz im Unterricht dürften ihm Recht geben. Wenn die Lernschritte durch das Programm vorgegeben werden, verschwindet dieser, steigt aber, wenn die Schüler  das Vorgehen selber steuern konnten oder wenn sie mit einem Partner arbeiteten.  Will ein Lehrer etwas erreichen, muss er sich  vielmehr als Regisseur verstehen, als activator, der seine Klasse im Griff und jeden Einzelnen stets im Blick hat.

Meine Meinung und Erfahrungen mit Erwachsenen zu Lernumgebungen, Lernplattformen und dem Deutschlernen mit digitalen Mitteln äußere ich ständig in diesem Blog. Ich vertrete die Ansicht, dass ein Lehrer heutzutage erst einmal ein Lerner sein muss, der die an ihn gestellten Erwartungen seiner erwachsenen Lernerkunden kennen muss. Erst danach kann er entscheiden,  in wieweit er Tutor, Mentor, Lernbegleiter, Lerncoach, Lernarchitekt, Lernregisseur oder schlichtweg Lernannimateuse sein will. Da heutzutage die Expertise eines Lehrers indessen von jeder Lernergeneration anders deffiniert wird, müssen die Lehrer, die bloß lehren wollen, gewaltig umdenken – sonst stehen sie leer da.

siehe auch Kurzinformationen zu Hattie-Begriffen

neu: Material zur Hattie-Studie  auf der Website des iQ-Hessen